Obwohl gerade der Bundestagswahlkampf tobt, gibt es noch andere Themen, die Aufmerksamkeit brauchen. Der autofreie Tag in Leipzig zum Beispiel. Der wird diesen Samstag vom Bündnis der Bürger für umweltfreundliche Mobilität organisiert. Er ist Teil der jährlichen Europäischen Woche der Mobilität vom 16. bis zum 22. September. Sieben Tage dreht sich alles rund um autofreie Fortbewegung, Fahrradfahren und Umweltschutz. Ich habe mit einer der Organisatorinnen gesprochen.
Wer jetzt denkt, es handle sich hier um eine Woche überflüssiges Hippietreffen derer, die sowieso mit Liegefahrrad fahren, gar kein Auto besitzen und auch nicht darauf angewiesen sind, der irrt. Hier kann sich jeder selbst einen Gefallen tun. Denn in Zeiten, in denen alles durch technischen Fortschritt extrem beschleunigt ist – sowohl bei Kommunikation als auch Mobilität –, haben wir paradoxerweise doch immer weniger Zeit für vieles: wie zum Beispiel in Ruhe einen Spaziergang zu machen, am Wochenende mit dem Rad dahin zu fahren, wo es keinen Handyempfang geschweige denn W-Lan gibt, oder nach dem stressigen Arbeitstag einfach nach Hause zu laufen, und die letzten Sonnenstrahlen mitzunehmen. Ein Tag autofrei könnte den Freiraum für diese Entschleunigung ermöglichen.
Die Europäische Woche der Mobilität läuft bereits und an diesem Samstag soll Leipzig für einen Tag autofrei sein, das sich dieses Jahr zum ersten Mal in die Europäische Woche für Mobilität einreiht, die von der Europäischen Kommission für Umwelt und Transport unterstützt wird. Die Woche gibt es schon seit 2002. Und Leipzig meint in diesem Fall nicht die Stadt, sondern das ehrenamtliche Engagement des Bündnisses der Bürger für umweltfreundliche Mobilität, das an dieser Stelle auch unbedingt gewürdigt werden soll. Das Gelingen des autofreien Tages hängt aber ganz davon ab, wie viele Bürger das Auto für einen Tag stehen lassen, denn verkehrsberuhigte Zonen oder sogar Fahrverbot wird es nicht geben. Nur den guten Willen und das Engagement des Bündnisses. Dazu gehört auch der BUND. Ich habe mich mit Heidi Enderlein, Landschaftsökologin und beim BUND Leipzig beschäftigt, über das ganze Projekt Mobilität unterhalten. Sie weiß, dassunmittelbar vor der Bundestagswahl, ganz besonders am Wahlwochenende, die Aufmerksamkeit der Stadt Leipzig für Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit schwer zu kriegen ist. Vor allem, wenn die Leipziger dazu angehalten werden sollen, das eigene Gefährt vor der Haustür stehen zu lassen und stattdessen den Öffi zu benutzen, zu Fuß zu gehen, oder mit dem Rad zu fahren. „Gerade in Leipzig, die vor allem als Messestadt mit ihrer attraktiven Infrastruktur wirbt, und wo sich mittlerweile Porsche und BMW niedergelassen haben, ist das natürlich schwierig. Aber das Ziel des autofreien Tages ist es nicht, gegen Autofahrer vorzugehen. Wir wollen aufzeigen, welche Lebensqualität eigentlich darin steckt, sich mit dem Rad, zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt zu bewegen. Der Zugewinn an Lebensqualität besteht darin, dass Verkehrslärm und Abgase vermindert werden, ergo sauberere Luft und weniger Lärmbelastung. Zudem kommt es zur Entschleunigung.“, fasst Heidi die Idee hinter dem ganzen zusammen.
Was die attraktive Infrastruktur betrifft, so kann aber auch dem Leipziger Stadtrat nicht entgangen sein, dass u.a. der Stadtteil Schleußig rund um die Brockhausstraße so voller Autos ist, dass in zweiter Reihe, auf Grünstreifen und Fußwegen geparkt werden muss. Jüngst wurde fast ein Kind angefahren, weil ein Auto beim Gehwegparken rückwärts über den Bürgersteig rollen musste. Zu viele Autos, zu schmale Radwege, zu wenig Parkplätze, das ist kein Problem, das nur Leipzig hat. Heidi erklärt, dass auch das ein Anliegen des autofreien Tages sei: „Es wird leider mittlerweile für selbstverständlich gehalten, jeden kurzen Weg mit dem Auto zu fahren, und auch, dass jeder andere Verkehrsteilnehmer auf Autofahrer Rücksicht nehmen muss und nicht umgekehrt. Das gilt auf Straßen genauso wie auf Parkflächen. Das würden wir gern einen Tag umkehren.“ Gerade das Parkproblem ist in Leipzig nicht neu: Bereits 2007 wurde von Stadtrat sogar ein Stillhalteabkommen vereinbart, das das städtische Ordnungsamt dazu anhielt, wegen der Überbelastung nur noch an Kreuzungen zu kontrollieren. Die Anwohner des Leipziger Stadtteils wurden im Gegensatz zum Ordnungsamt selbst aktiv und gründeten den Bürgerverein Initiative Schleußig e.V. Zum Bündnis der Bürger für umweltfreundliche Mobilität gehören neben dem BUND, der Allgemeine Deutsche Fahrradfahrer Club, der Verkehrsklub Deutschland und zahlreiche Bürgerinitiativen. Heidi erklärt das Programm des autofreien Samstagestages und betont vor allem, dass Auto,Autofahren und der damit verbundene Lärm von vielen auch als Stressfaktor wahrgenommen wird. „Wir wollen an diesem Tag mit Aktionen in verschiedenen Stadtteilen, wie Reudnitz, Gohlis und Schleußig den Straßenraum neu erleben und die Freuden eines Picknicks, Fußballspiels, Skaterparcours, einer Tanzfläche oder einer Modenschau auf Plätzen genießen, die sonst von lärmenden KFZ dominiert werden.“
Der autofreie Tag in Leipzig – zumal auf diesem zumeist Berlin-lastigen Blog die restliche Bundesrepublik nicht zu kurz kommen sollte – funktioniert anschaulich aber auch exemplarisch für ökologisch nachhaltiges Verhalten eines jeden einzelnen. Deshalb ist es prinzipiell egal, wo er stattfindet. Sicherlich würde ein Fahrverbot mehr Leute erreichen, aber wer nicht von selbst sein Auto stehen lässt, kann schlecht gezwungen werden. Jeder muss bei sich selbst anfangen. Ob in Leipzig, Berlin oder anderswo.
© 2013 Foto Fahrräder: Daniel Frisch
© 2013 Foto Auto und Baum: leipzigmobil.wordpress.com
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