Laut einer Studie wünschen sich 8 von 10 Deutschen eine andere Wirtschaftsordnung. Ich auch. Die Jetzige nervt. Doch wie könnte die Neue aussehen? Und wie kommen wir dahin? Was kann die Politik, tun, was können Unternehmen tun, was können Verbraucher tun, was kann die Zivilgesellschaft tun? Es gibt viele schlaue Menschen, die darauf rumdenken oder bereits im Kleinen versuchen Wirtschaft anders zu gestalten. Wir stellen sie auf Green Friday regelmäßig vor, aber als aufmerksame Leser wisst ihr da ja 🙂
Heute heißt es bei uns: all eyes on Uli Burchardt und sein Buch „Ausgegeizt! Wertvoll ist besser – Das Manufactum Prinzip.“
Uli Burchardt ist Bürgermeister von Konstanz. Irgendwie für die CDU. Davor hat er sich der Forstwirtschaft gewidmet und das Marketing für den Lohas-Laden Manufactum gemacht. Das übrigens von einem ehemaligen Grünen Abgeordneten gegründet wurde. Außerdem ist er Mitglied bei attac, weil er genervt vom globalen Investmentbanking ist. Auf den ersten Blick eine, rein aus politischer Sicht, ziemlich bunte Mischung. Aber wenn man das Buch gelesen hat und versteht worum es ihm geht, ist das alles eigentlich nur konsequent. Und ideologische Grabenkämpfe sind eh so letztes Jahrtausend.
Uli Burchardt möchte eine andere Wirtschaft. Er ist sich sicher: Die Wirtschaft wie sie jetzt ist, getrieben von blinder, anonymer Renditemaximierung, ist ein Parasit, der irgendwann seinen Wirt, also uns und diesen Planeten, aus Gier komplett zerlegt. Derweil schwirren wir zwischen Geiz-ist-Geil-Mentalität, der ständigen Suche nach billigem Junk, der morgen schon wieder ersetzt werden muss, zwischen Burn-Out und einer geschröpften Mittelschicht, zwischen Ausbeutung in Asien und einer vergifteten Umwelt umher.
Wie kommen wir da also raus? Burchardt findet: mit dem Manufactum Prinzip. Sein Ex-Arbeitgeber, der mit dem Slogan „Es gibt sie noch, die guten Dinge“ wirbt und bei seinen Produkten auf gute, alte Wertarbeit setzt. Online und in diversen Shops verkauft Manufactum nun seit bald 20 Jahren hochwertige Produkte, von der Seife bis zur Kaffeemaschine. 400 Mitarbeiter hat das Unternehmen und macht angeblich einen Umsatz von ca. 80 Mio Euro im Jahr.
Burchardt spricht in seinem Buch viel von Begriffen wie Anstand oder Wert. Von Langlebigkeit und Bodenständigkeit. Als gelernter Förster zieht er einen Vergleich zwischen der „normalen Wirtschaft“ zur Forstwirtschaft. Man kann Wald als Fichtenmonokultur bewirtschaften. In Fichtenmonokulturen wächst mehr verwertbares Holz, als in jeder anderen Bewirtschaftungsform. Sie können leicht gepflegt werden, gut berechnet werden und sind äußerst maschinenfreundlich. Fichtenmonokulturen sind nicht komplex. Alles ist perfekt durchoptimiert. Scheinbar bescheuert, wer sich noch mit einer Mischkultur rumschlägt.
Aber Monokulturen, das mussten auch die Waldbetreiber lernen, wachsen nicht unter einer abgeschotteten Glaskugel. Eine Monokultur bringt nicht nur schnelles Geld, sondern auch Risiken. Burchardt erzählt von einem Förster, der eine Fichtenmonokultur besaß, auf lehmigen, nährstoffreichem Boden. Der Förster hatte die Monokultur von seinem Vorgänger übernommen, der damit wahrscheinlich gutes Geld verdient hat. Doch für den neuen Besitzer wurde sie zum Horrortrip. Erst entschied ein Orkan einen Großteil der Fichten umzuhauen, was zu viel Schaden führte, dann bildete sich ein riesiger See. Diesen trocken zu legen und neue Bäume zu pflanzen kostete ein kleines Vermögen. Das Grundstück bringt etwa 50 Jahre keinen Ertrag.
Neben Stürmen haben die Monokulturen noch andere mächtige Naturgegner. Ein großes, gefährliches Ungetüm heißt Buchdrucker. Ein Käfer, der gerne in fein akkurate Monokulturwälder spaziert. Es handelt sich um kleine gierige, sich gern fortpflanzende Tiere, die unter der Baumrinde ihren Spaß haben. Gerne so intensiv, dass sie ihren Wirt, die Fichte, dabei zerstören.
In einem gesunden Multikultiwald läuft das so ab: Buchdrucker macht sich an der Fichte zu schaffen, die wehrt sich mit giftigem Harz, und wenn sie stark genug ist, schafft sie das auch. Der Buchdrucker tötet also vor allem schwache Fichten. Dann zieht er weiter zur nächsten Fichte. Eine Reise, die nicht viele aus seiner Familie überleben. Daher hält sich in einem gesunden Wald die Population von Fichten und Käfern. Anders im Monokulturwald. Hier hat der Käfer es nicht weit von A nach B. Und der Förster hat richtig Stress, sobald er einen befallen Baum hat, muss dieser gefällt werden – egal ob es wirtschaftlich gerade passt oder nicht.
Die Moral von der Geschichte: Was die ersten Jahre billig und praktisch und ertragsreich erscheint, kommt uns langfristig teuer zu stehen. Der Begriff Nachhaltigkeit ist nicht umsonst ein Begriff aus der Forstwirtschaft. Es geht darum dem Wald nur so viel zu entnehmen, wie er wieder herstellen kann. Nutze eine Ressource so, dass du sie dauerhaft nutzen kannst. Sein Buch ist ein Appell an Verbraucher und Unternehmer nachhaltiger und gemeinwohlorientierter zu handeln und ganz in Ruhe und mit Bedacht einen Mischkulturwald zu pflegen.
Nachhaltig wirtschaften bedeutet hier:
– Wertvoll kaufen.
Verbraucher müssen wieder gute Arbeit zu schätzen wissen, einfordern und auch so einkaufen. Also einen Bogen um Trash und Discounter und anonymer Massenware machen. Man braucht nicht ständig schlechtes Holz aus der Monokultur holen, um trashige Kommoden zu bauen. Lieber holt man seltener gutes Holz aus einem gesunden Mischkulturwald und baut daraus eine Kommode, die 100 Jahre hält. Dann hat man auch mehr Zeit für andere Dinge, weil sich das Thema Kommode für 100 Jahre erledigt hat. Hier erkennt man ganz den Manufactum-Boy, der jahrelang 150-Euro Messer promotet hat 🙂
Zudem ist ihm wichtig, dass gute Produktion mehr gewürdigt wird. Seine Frage ist hier: Warum ist jemand, der ein geiles Handwerk beherrscht weniger angesehen als ein Sachbearbeiter, der durch die Welt düst und sich um gesichtslose Massenware kümmert?
– Regional kaufen.
Regionale Vielfalt fördert die Stabilität jedes Ökosystems. Burchardt ist ein bisschen wehmütig, was das Abwandern von Textilindustrie und co aus Europa angeht. Das Know-how geht verloren und sobald mal das Öl teurer wird – also der Transport der Waren zu uns – stehen wir hilflos da.
Daher: zurück zu europäischer Handwerkskunst und Lebensmittelproduktion.
– Anständig miteinander arbeiten
Statt auf Heuschreckenbasis soll mit Fairness, auf Augenhöhe und mit Handschlagdeal gearbeitet werden.
– Qualität statt Preis in den Vordergrund stellen
und das auch vermitteln. Als Beispiel nennt er Whole Foods in den USA. Die sind viel teurer als die Discounter-Konkurrenz, machen aber 9 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr. Sie stellen ihre Qualität in den Vordergrund, z.B. dass sie Bioprodukte führen und partnerschaftlich mit Lieferanten arbeiten.
– Zu einer nachhaltigen Bank wechseln
Das Buch ist relativ unpolitisch und setzt vor allem auf die Vernunft von Unternehmern und Verbrauchern. Nur wenn es um den Geldadel geht, haut der Autor recht scharfe Töne raus:
„Wir ärgern uns und wir wissen, dass die Profiteure all dieser Verrücktheiten am Ende immer nur einige wenige sind. Und diese wenigen sind am Ende diejenigen, die nicht Waren oder Dienstleistungen verkaufen, sondern Geld. Sie sitzen in ihren Villen (…) und produzieren nichts, sie erzeugen keinen Mehrwert, sie erfinden nichts, innovieren nichts, sie haben einfach nur Geld und lassen es per Computer ein paarmal digital um den Globus wandern um es zu vermehren. Legal. Steuerfrei.“
Daher empfiehlt Burchardt eine „Krötenwanderung“ zu einer nachhaltigen Bank.
– den Mittelstand stärken
Der Mittelstand, die Menschen zwischen Geldadel und Transferleistungsempfängern, empfindet Burchardt als Melkvieh.
– ein gesundes Maß an Rendite und Renditemaximierung finden
Aktionäre denken kurzfristig a la „Nach mir die Sintflut“. Das hat zur Folge, das Unternehmen kurzfristig ausgequetscht werden, anstatt langfristig zu planen und zu arbeiten. „Die Renditeforderungen der Kapitalgeber sind schlichtweg obszön“ schreibt Burchardt dazu. Die Wirtschaft muss in den Dienste der Gesellschaft und nicht andersrum. Sie muss weg von Renditemaximierung, sonst zerstört sie unseren Planeten. Und nicht nur sich, sondern uns.
„Ich bin sicher: Sie können sämtliche Missstände der heutigen Wirtschafts- und Arbeitswelt untersuchen – von ausbeuterischen Handelsbeziehungen bis zu schlechten krank machenden Arbeitsbedingungen, von ungenügenden Finanzierungsmöglichkeiten für den Mittelstand bis hin zur ständigen Verschlechterung und Verbilligung von Produkten: All diese Fänden, an denen Sie ziehen können, führen Sie am Ende nach New York, London oder Frankfurt – zum globalen Investment Banking. Dort werden die Renditevorgaben ausgegeben (…).“
Fazit:
„Ausgegeizt“ ist vor allem ein Appell an Unternehmen und Verbraucher, weniger ein politischer Masterplan zur Weltrettung inklusive Steuerkonzept und Emissionshandel-Reform. Bei den konkreten Lösungsvorschlägen bleibt Burchardt vage. Er ist einfach begeistert von mittelständischen Unternehmern, die Verantwortung übernehmen und „ehrlich arbeiten.“ Und er will seine Leser motivieren, bei diesen zu kaufen oder selber einer zu werden. Der Ächtung von Junk stimme ich grundsätzlich zu. Und der Ächtung vom globalen Investmentbanking auf jeden Fall auch. Wobei ersteres für meine Generation sehr viel schwieriger ist als für seine. Schuhe für 400 Euro und Töpfe für 300 Euro sind Preise, bei denen meine befristet angestellten, scheinselbständigen Agenturfreunde ihren Zeigefinder zur Stirn führen. Wo wir wieder bei der ausgelutschten Mittelschicht wären, die nichts außer ihrer Arbeitskraft zu Markte tragen kann und da nichtmehr viel für bekommt. Was wiederum mit Investment Banking zu tun hat. Puh, da beißt sich die Katze in den Schwanz. Vielleicht müssen wir doch mehr an der Politik drehen, als „das Manufactum-Prinzip“ das kann. Bis dahin: buy good, buy less.
Lesetipps:
Radermacher und die Ökosoziale Marktwirtschaft
Michael Braungart: Einfach intelligent produzieren
Jaja, Manufactum verkauft ja auch nur „die guten alten Dinge“ aus Deutschland, nichts multikulti, alles schön gediegen und regional, wertkonservativ vielleicht, bodenständig halt. Da der Manufactum-Gründer Thomas Hoof ein ziemlicher neu-Rechter ist, hat das Unternehmen sich ja auch schon von ihm distanziert, man will ja keine Kundschaft verschrecken. Die aus dem guten alten deutschen Spießbürgertum besteht. Manufactum bedient ganz hervorragend alle Rollenklischees, hat einen festen Platz für Frau und Mann im Leben, propagiert einen bodenständigen Lebensstil, die Rückbesinnung auf sich selbst, sein eigens kleines Biedermeier-Universum, in dem es konservativ zu geht, in dem wir die Augen vor allem in der bösen, weiten Welt verschlossen halten. In unserem Haus und Hof ist ja alles in Ordnung, alle anderen sollen bitte schön draußen blieben.
Lehnt man sich zu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet, Manufactum sei rechts? Wenn man bedenkt, dass das Unternehmen zwar Thomas Hoofs prekäre Titel aus dem Sortiment genommen hat (d.h. verschwörungstheoretische Hetze), andere Bücher aus seinem Verlag aber fröhlich weiter verkauft… ganz abgesehen von der Heimchen-am-Herd-Ideologie, die doch öfters mal zum Vorschein kommt.
Wer so einen rückschrittlichen, neu-rechts angehauchten Spießer-Verein unterstützen will, bitte. Ob man damit wirklich die Herausforderungen stemmen kann, vor denen unsere Welt (nicht nur Deutschlands Mittelschicht) steht, ist doch sehr zu bezweifeln.